Feindliche Übernahme

Man muss die Fahne dort wehen lassen, wo der Sieg winkt.
— Manfred Rommel

Sie kamen und boten uns ihre Hilfe an. Sie taten so als ob sie uns aus dem Joch erlösen wollten. Zuerst verbesserten Sie unsere Sprache. Sie eliminierten schleichend unseren Wortschatz und ersetzten ihn durch den Ihren. Sie unterwanderten unsere Ämter und Behörden. Dann erließen sie neue Gesetze und Vorschriften und vertrieben viele von uns aus leitenden Positionen der Betriebe. Sie ordneten die Überprüfung aller an, die von uns noch in Ämter und Behörden arbeiteten. Wer nicht zu Ihrer Linie passte wurde entlassen - es waren viele, sehr viele. Die Straßen füllten sich mit ihnen doch sie gingen nur stumm daher. Dann wurden die Straßen umbenannt, die Plätze sogar ganze Städte - nichts sollte an uns erinnern. Letztlich eigneten Sie sich unsere Betriebe an. Die profitablen Abteilungen wurden neu entworfen und effizienter gestaltet. Freiwerdendes Personal wurde entlassen. Die nicht profitablen Bereiche wurden verkauft und die Belegschaft komplett entlassen. Es entstand ein Moloch an menschlichem Material, arbeitslos, hungrig, deprimiert und voller Angst vor dem was noch kommen mag. Aus diesem Brei suchten sie sich nach und nach die Besten heraus und ließen sie in Ihren Betrieben arbeiten aber nicht bei uns sondern in ihren Regionen. In Fabriken fernab des entstandenen Molochs, fernab unserer Heimat, fernab gewohnter Umgebung, Kultur, Sprache und sozialer Bindungen. Ihre Betriebe waren völlig anders organisiert. Nicht nach sozialen Bedürfnissen sondern nach Effizienz, Effektivität und Funktionalität. Sie wirkten steril und ähnelten irgendwie einer Scheinwelt. Das ganze Umfeld erschien nicht wirklich real. Die Menschen lebten angepasst. Sie vertraten ihre Meinung - jeder eine Andere aber immer scheinbar die ihre und doch irgendwie gekünstelt. Sie lachten wie auf Befehl an der passenden Stelle und nur an der passenden Stelle. Sie tadelten nicht, sondern lobten wenn sich Gelegenheit dazu bot. Ständig fühlte man sich verarscht aber man machte mit, man machte weiter, man brauchte das Geld, die Zeiten waren hart, eine Wohnung war teuer und man selbst war privilegiert, denn: man hatte Arbeit. Arbeit war alles. Arbeit hieß Geld, Arbeit hieß Wohnung, Arbeit hieß Nahrung und Arbeit hieß bis zu einem gewissen Grad auch Luxus. Viele von uns lernten schnell sich anzupassen - zu schnell wie sich später zeigen sollte. Die neue Sprache konnten sie schon perfekt, sie waren flink. Sie sogen alles Neue auf. Sie gingen mit Ihnen in neue Regionen von denen sie früher nie hoffen durften diese jemals auch nur sehen zu können. Sie genossen das Leben, machten sich keine Sorgen und ließen der Welt ihren Lauf. Sie feierten tagaus tagein und machten sich über nicht so schlaue Menschen lustig und nutzen diese aus. Sie passten sich so gut an, dass sie kaum noch vom Vorbild unterschieden werden konnten. Sie verleugneten ihre eigene Herkunft bis sie selbst glaubten nie ein anderes Leben geführt zu haben. Trotzdem erkannte man sie mit der Zeit alle - die Vorbilder genau wie ihre Klone. Nur Wenigen wie mir viel diese Anpassung nicht so leicht. Warum eigentlich nicht? Ich konnte es nicht. Ich wollte es nicht. Ich war zornig, vor den Kopf gestoßen, betrogen. Betrogen um den Rest meines Lebens. Schließlich war zum Beginn alles ganz anders gedacht gewesen oder dachte nur ich mir es anders? Sollte ich der Einzige sein der es sich anders vorgestellt hatte?

Zurück auf Null

Zu einem guten Ende gehört auch ein guter Beginn
— Konfuzius

Ein Geräusch reißt mich aus dem Schlaf. Ich öffne die Augen und erblicke eine fremde Wohnung. Wo bin ich? Welcher Tag ist? Langsam erhebe ich mich von meiner Luftmatratze und wanke zum Fenster. Auf dem Weg dorthin muss ich einige Säcke mit Sachen und noch nicht am richtigen Platz stehende Möbelstücke umlaufen. Ja der Umzug - Gott sei Dank geschafft. Es war meine erste Nacht in der neuen Wohnung und nicht nur das, es war meine erste Nacht in Ihrem Gebiet. Seit der Übernahme waren einige Jahre vergangen und das Leben im Moloch war unerträglich geworden. Nicht für mich da es mir als Student wirklich gut ging. Aber so viel man auch wissen möchte und so lang man auch studiert - irgendwann endet auch das längste Studium. Zwar hätte ich bequem ein neues Studium beginnen können aber das hätte ich auch selbst bezahlen müssen. Die “Studiengebühr” an sich war nicht hoch aber hinzu kamen noch die Kosten für Unterbringung und Lebensmittel. Das konnte ich nicht mit einem Job als studentische Hilfskraft stemmen und bei einem Vollzeitjob wäre keine Zeit für das Studium selbst geblieben. Also war alles was mir übrig blieb eine Arbeit zu suchen. Doch im Moloch gab es kaum Arbeit und wenn dann nur zu unmenschlichen Bedingungen. Also bewarb ich mich bei Ihnen - bei den “Neuen”. Nach einiger Zeit hatte ich damit Erfolg und nun war ich angekommen in meinem neuen Leben. Gestern, Samstag, war ich eingezogen. Von den Nachbarn hatte ich während des Einzugs niemanden entdeckt. Doch nun da ich am Fenster stand sah ich wie sich vor dem Haus hektisches Treiben ausbreitete. Die Leuten strömten aus ihren Häusern mit Kind und Kegel und bewegten sich in Richtung Stadt. Es war gerade 09:30 Uhr vermutlich gingen viele von ihnen zur Kirche. Ich bin zwar getauft und konfirmiert und somit wohl auch Christ dennoch zog mich die Kirche nicht an. Die scheinheiligen Reden der Pfarrer, das geheuchelte Mitleid der Gemeinde, das alles war nichts für mich. Ja das war auch mal anders! Damals als die Pfarrer noch zur Revolution aufriefen und jeder Gang zur Kirche den Beigeschmack eines Geheimtreffens hatte. Ja damals bin ich noch gern zur Kirche gegangen aber das ist lange her. Inzwischen überlege ich mir schon länger auszutreten. Der einzige Grund warum ich es noch nicht getan habe sind meine Eltern. Man will Eltern einfach nicht enttäuschen zumindest nicht auch noch in solchen belanglosen Dingen. Schließlich waren sie es die mich getauft hatten. Reformiertapostolisch getauft soweit ich weiß. Ich verwechselte schon immer ob ich nun der Neu- oder Reformiertapostolischen Gemeinde angehörte. Vermutlich weil ich nach der Taufe dann komplett evangelisch erzogen und auch so konfirmiert wurde. Es spielte in meinem Leben einfach keine Rolle. Da die meisten meiner Cousins neuapostolisch sind muss ich wohl reformiertapostolisch sein, denn soweit ich weiß hat mein Opa damals die Kirche gewechselt und sich so vom Rest der Familie distanziert. Doch waren meine Eltern überhaupt noch in der Kirche und wenn ja in welcher? Hatte meine Mutter nicht erwähnt sie seien ausgetreten aber das soll in der Familie keiner wissen? Da muss ich mal nachhacken beim nächsten Treffen. Wer weiß wann das sein wird. Als ich noch im Moloch wohnte war die Entfernung viel kürzer und selbst da habe ich es nicht jedes Jahr geschafft sie wenigstens einmal zu besuchen und jetzt? Jetzt wohne ich weit weg, da ist der nächste Besuch doch meistens die Beerdigung. Nein dazu darf ich es nicht kommen lassen, es gibt noch viel zu bereden, sie müssen mir noch viel erklären zu Entscheidungen in der Vergangenheit die für mich nicht nachvollziehbar sind. Nein ich muss das hier als Job sehen und ich muss verdammt schnell versuchen alte Kontakte und Freundschaften zu aktivieren jetzt wo ich hier bei den “Neuen” wohne. Fernab meiner Freunde und fernab meiner Kultur. Doch zunächst muss ich dafür Sorgen, dass der Einstieg in den neuen Job gut läuft. Ich verrichte meine Morgentoilette und begebe mich in die Stadt. Da ich um ins Internet zu kommen ein Modem besitze bei dem ich dem Anbieter jeden Adresswechsel mitteilen muss damit er die Verbindung freischalten kann, brauche ich jetzt ein Internetcafé. Am Bahnhof werde ich fündig. Die Route zur Arbeit ist schnell ausgedruckt und ich mache mich auf den Weg. Mein Ziel: Arbeitsort finden und Zeit für den Weg zur Arbeit messen. Nachdem ich wieder bei meiner Wohnung angelangt bin ist es Nachmittag. Auf einer portablen elektrischen Heizplatte setze ich Reis auf, dazu eine Büchse Gulasch und im Nachgang eine Flasche Martini aus dem Netto. Das war es für heute, ich leg mich wieder auf die Luftmatratze. Am liebsten würde ich alles vergessen, wo ich bin, was ich bin, wer ich bin doch das geht nicht dauerhaft aber zumindest zeitweise. Der Alkohol beginnt zu wirken und ich schlafe ein.

Traum

Die Zukunft war früher auch besser
— Karl Valentin

In meinem Traum lebte ich bereits diverse Jahre im Gebiet der Neuen. Es war ein gewöhnlicher Tag und ich fuhr von der Arbeit heim. Seit der großen Feinstaubkatastrophe vor einigen Jahren hatte sich einiges verändert. Die öffentlichen Verkehrsmittel waren jetzt zum bersten gefüllt und fuhren rund um die Uhr fast ausschließlich im 5 Minuten Takt. Busse und Bahnen verfügten über eine neue, vollkommen überarbeitete Anordnung der Haltegriffe welche auf jeglichen stylischen Schnick Schnack verzichtete und irgendwie an die Halterungen aus den 1980er Jahren erinnerte. Back to the roots denke ich mir und muss ein wenig lächeln dabei. Durch die Anordnung der Halterungen war die Körpergröße nicht mehr relevant und so konnten sich vom Kind bis zum Greis alle Stehenden auch in den Gängen zwischen den Türen festhalten. Wäre die U-Bahn leerer gewesen hätte man bemerkt, dass die neuen Halterungen dazu führten, dass sich vor den Türen keinen Menschenknäuls mehr ausbildeten. So aber trat dieser Effekt in den Hintergrund, da jeder kleinste Raum im Wagon genutzt wurde. Auch hatte nach über 20 Jahren U-Bahn irgend ein pfiffiger Mitarbeiter entdeckt dass im Schienenverkehr bereits seit Jahrzehnten Gepäckablagen üblich sind und auch die U-Bahnen damit versehen. Den Stauraum nahmen die Leute dankend an. Seit die Stadtverwaltung eine strikte Trennung zwischen Wohn- und Gewerberaum durchgesetzt hatte konnte praktisch jeder einen Arbeitsweg vorweisen. Die Trennung zwischen Wohn- und Gewerberaum bedeutete, dass alle Tätigkeiten welche nicht der Erholung und des Wohnens dienten in Gewerbegebiete außerhalb der Stadt ausgelagert wurden. Praktisch hieß das, dass es in der Stadt weder Geschäfte noch Büros noch andere Verkaufsstellen wie Bäcker etc. gab. Natürlich gab es Ausnahmen aber diese waren strikt definiert. So waren alle Bereiche welche der Sicherheit der Menschen dienten freilich weiterhin in der Stadt verfügbar. Dazu zählten ehemals Feuerwehr, Ärzte, Polizei, Rettungsdienste, Pflegedienste etc. Die einzelnen Ausprägungen gab es jedoch in der Form nicht mehr. Stattdessen gab es ein neues Konzept basierend auf dem Emergency Response Point - ERP. Diese Punkte wurden flächendeckend über das gesamte Stadtgebiet verteilt und vereinten die Aufgaben aller Sicherheitskräfte. Auch wurden hier Arzneimittel an die Bevölkerung ausgegeben so dass Apotheken im Stadtgebiet selbst nicht mehr zu finden waren. Der private Autoverkehr war im kompletten Stadtgebiet eingestellt und verboten wurden. Somit wurde der öffentliche Nahverkehr faktisch für jeden verpflichtend. Dafür war er endlich kostenfrei nutzbar und verfügte über spezialisierte Wagon’s mit denen sich auch größere Waren aus dem Gewerbegebiet in die Stadt transportieren ließen. Diese Wagons konnten per Internet auch reserviert werden. Selbst Elektroautos waren im Stadtgebiet verboten, da es nicht nur um die Verringerung des Feinstaubes ging sondern vor allem um die Schaffung von Ruhe und Erholungszonen für die Bevölkerung. Dennoch mussten die Straßen und Parkplätze nicht abgeschafft werden - im Gegenteil diese waren nun der Nutzung durch Sicherheitskräfte und Transportdienstleister vorbehalten. Letztere brachten die im Internet oder Gewerbegebiet bestellten Waren zur Bevölkerung und boten alle Services rund ums Wohnen. All dies waren die Folgen der Feinstaubkatastrophe. Die ersten Maßnahmen der Stadt waren mit Land und Bund abgestimmt und schienen keine großen Auswirkungen zu besitzen, daher wurden sie auch einfach gegen den Willen der Bevölkerung durchgesetzt, was zu sehr großen Unmut und Massendemonstrationen im Land führte. Letztlich aber setzte sich der Staat durch und vermutlich war es pures Glück, dass die Rechnung zum Schluss aufging. Nun nachdem die neue Ordnung schon über 10 Jahre in Kraft ist hat man sich nicht nur daran gewöhnt sondern empfindet diese auch als einen gewissen Luxus. Das alles obgleich es eigentlich Zwangsmaßnahmen des Staates waren die erheblichen Einfluß auf die Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten der Menschen nahmen. Schließlich siegte die Einsicht in die Notwendigkeit und alle Menschen hatten etwas davon gehabt. Keiner war wirklich unglücklich mit der neuen Ordnung nicht einmal extrem spekulativ umtriebige Firmen. Ja auch diese merkten, dass ihre Mitarbeiter plötzlich erholter zur Arbeit kamen und dort deutlich mehr leisteten. Das hektische Treiben fand nun innerhalb der Gewerbegebiete statt. Hier wurden die Dinge des täglichen Bedarfes gekauft und per ÖPNV heim transportiert. Die Ladenschlussgesetze waren inzwischen gefallen und so konnte jeder auch außerhalb der Arbeitszeit diese Dinge ohne Streß und zusätzlichen Preisaufschlag bekommen. Der Fall der Ladenschlussgesetze kam mit dem Gesetz zur Gleichstellung von Angestellten des Emergency Bereichs. Das allerdings bedeutete nicht, dass nun wieder auf die alten Schichtsysteme zurückgegriffen wurde. Nein im Gegenteil, es war sogar üblich geworden alle Beschäftigungsverhältnisse über flexible Arbeitszeiten zu gestalten. Im Prinzip konnte man kommen und gehen wann man wollte, wichtig war nur, dass man seine Anwesenheit richtig verbuchte und natürlich die Mindestanwesenheitszeit nicht unterschritt. Im Gegenzug zu diesen Erleichterungen wurde der Kündigungsschutz drastisch verringert. Im Prinzip war er faktisch nicht mehr vorhanden. Wer ein Vergehen in der Firma beging oder seine Arbeit nicht schaffte oder auch einfach nicht ins Team passte konnte relativ zügig entlassen werden. Die Folge jahrzentelanger verfehlter Gewerkschaftspolitik mit der sich die Gewerkschaften zum großen Teil auch gleich selbst mit abgeschafft hatten. Zu lange ging es in den Gewerkschaften nur um Populismus, Kungelei, Postenbesetzung und neue Mitglieder. Bei einer Sitzung mit 6 Tagesordnungspunkten befassten sich im Prinzip 5 mit dem Anwerben neuer Mitglieder. Die letzte Sitzung an der ich teilnahm, stellte ein einzigartiges Beispiel dar. Sie verfügte über folgende Agenda: 1. Begrüßung der neuen Mitglieder 2. Vorbereitung der neuen Ausgabe der Vereinszeitung 3. Abstimmung zu den Details der neuen Tarifrunde im Februar 4. Werbeveranstaltung auf dem Markt 5. Flyerverteilung in der Firma 6. Was wollen wir dieses Jahr durchsetzen. Punkt 1 zog sich in die Länge und überschritt die anberaumte Zeit weil die alten Hasen plötzlich sehr schockiert dreinschauten über die Meinungen der neuen Mitglieder. Die Artikel der neuen Ausgabe der Vereinszeitung für Punkt 2 waren bereits geschrieben und es ging nur um Details zum Layout. Wichtigster Punkt war die Platzierung des Gewerkschaftslogos und des Anmeldeformulars, damit beeindruckte Mitarbeiter unverzüglich ihr Interesse bekunden konnten. Leider war der Punkt Inhalte diskutieren um die Leser zu beeindrucken nie auf einer Agenda erschienen. Im Punkt 3 ging es nur darum die Mitglieder zu befragen was sie vom Tarifabschluss erwarten. Wichtig dabei war allerdings, es ging nicht um den Tarif selber sondern Nichtmitglieder sollten ganz bewusst wahrnehmen dass die Gewerkschaftsmitglieder befragt wurden. Also das Vorgauckeln von Basisdemokratie zur Aquise. Nur die Kollegen nicht ansprechen wenn keiner im Raum ist. Punkt 4 war vollumfänglich auf die Gewinnung neuer Mitglieder ausgerichtet und auch in der Flyerverteilung ging es um nichts anderes. Punkt 6 musste auf Grund der vorangeschrittenen Zeit leider auf das nächste Treffen verschoben werden. Doch wie auch schon die vielen Jahre vorher so störte die Quasi Abschaffung der Gewerkschaften niemanden in der Bevölkerung da diese Vereine ohnehin nur noch verhöhnt wurden. Auch musste sich bei einer Kündigung keiner wirklich Sorgen um seine Zukunft machen da inzwischen ein Bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt worden war. Der Betrag des BGE war gerade so hoch wie früher der Hartz IV Satz plus eine Pauschale für Miete und Energiekosten. Das hatte für den Staat den Vorteil das aufwendige Prüfungen zur Berechnung und Vergabe der Geldhöhe entfielen - es bekam einfach jeder die gleiche Höhe monatlich ausgezahlt. Nicht einmal ein Antrag war zu bearbeiten, da das BGE praktisch an jede volljährige Person ausgezahlt wurde und damit einfach per Meldeamt an die zu jedem Hauptwohnsitz hinterlegte Bankverbindung maschinell überwiesen wurde. Natürlich waren die Ämter inzwischen soweit vernetzt dass es nicht mehr möglich war zwei Hauptwohnsitze pro Person im Land zu melden. Das Ausland war nicht mehr interessant, da das BGE nur an inländische Hauptwohnsitze gezahlt wurde wenn die betreffende Person das 18. Lebensjahr vollendet hatte und mindestens 2 Jahre die Staatsbürgerschaft des Landes nachweisen konnte. Da diese Angaben ohnehin alle bereits im Aufgabengebiet des Meldeamtes vorlagen und dort überprüft wurden, konnte eine ganze Behörde welche sich vorher mit der Vergabe von Hartz IV Leistungen und deren Sanktionierung befasste abgewickelt werden. Plötzlich war ein lautes Krachen zu hören und ein gewaltiger Schlag riss mich zu Boden. Die U-Bahn hatte vollautomatisch eine Notbremsung eingeleitet. Langsam rappelte ich mich auf. Eine Stimme sprach von Personen im Gleisbett. Sie gab diverse Hinweise wie “Türen nicht öffnen”, “Ruhe bewahren”, “Nicht aussteigen”. Da die Stimme immer leiser wurde konnte ich die letzten Durchsagen nicht mehr verstehen. Auch wurde der Raum immer heller. Irgendeine gleißende Helligkeit war in den Tunnel eingedrungen und flutete alles mit Licht.

Erster Arbeitstag

Oh Herr sag warum soll ich arbeiten gehen wo die Erde doch alles gibt? - Weil Du arm bist!

Schweißgebadet und vom Lärm des Weckers genervt erwache ich aus meinem Traum. Die Sonne strahlt bereits hell in mein Zimmer und ich muß mich beeilen um den ausgearbeiteten Zeitplan einhalten zu können. Es ist bereits 07:00 Uhr als ich in die U-Bahn steige. Der U-Bahnhof ist überfüllt mit lärmenden Schülern. Dicht gedrängt stehen wir in der führerlosen U-Bahn. Am Hauptbahnhof lasse ich mich im dem Strom der Aussteigenden treiben und begebe mich zur Staßenbahnhaltestelle. Die nächste Bahn fährt bereits ein und die Aussteigenden versuchen auf dem schmalen Bahnsteig an den Wartenden vorbei zur Unterführung zu gelangen. Für alle Beteiligten eine logistische Herausforderung. Es sind nur etwa 10 Minuten Fahrt und schon bin ich am Ziel angekommen. Die Staßenbahn hält direkt vor einem 11 stöckigen Gebäude mit 2 seitlichen Ausläufern. Davor befindet sich ein Platz mit gläsernden Säulen an denen Wasser herunterrinnt - Wasserspiele. Diesen Platz muß ich überqueren um zum Eingang zu gelangen. Dabei gleitet mein Blick durch einen Durchgang des Gebäudes hinter dem ich ein Kunstobjekt erkenne. Von hier aus sieht es aus wie ein überdimensional großer Nagel. “Oh Gott” denke ich, wenn das nur kein Zeichen ist. Warum verziert man das Gebäude einer Behörde mit einem Kunstwerk welches den Eindruck erweckt es wäre bereits der erste Sargnagel daran befestigt wurden? Mir bleibt keine Zeit darüber weiter nach zu denken. Der Eingang ist nur mit speziellen Karten passierbar und ich besitze keine. Des Pförtner winkt mir zu. Ich solle zu einer kleinen Nebentür gehen und dort das Gebäude betreten. Diese Tür besitzt eine Klinke und nach dem Durchschreiten besteht die einzige Fluchtmöglichkeit in Richtung Pförtner. Aha alles auf Sicherheit ausgelegt - die müssen ganz schön Angst haben hier - vor wem auch immer. Ich zeige dem Pförtner mein Einladungsschreiben und er weist mir den Weg zum Fahrstuhl. Ich will mich gerade zu den Wartenden an den 6 Fahrstuhlschächten gesellen als eine Fahrstuhltür sich öffnet. Vier Personen steigen aus und 2 ein die Anderen warten weiter. Ich ergreife die Gelegenheit und steige schnell noch mit ein. Mein Blick sucht die Tafel mit den Knöpfen zur Etagenauswahl - alle schauen mich an. “Ich möchte in die 10. Etage - wo muss ich da bitte drücken?”. Beide grinsen. Da müssen Sie draußen an dem Kasten in der Mitte die 10 drücken und ablesen welchen Fahrstuhl sie nehmen soll. Ah danke, stammel ich verwirrt und verlasse schnell noch die Kabine bevor sich die Tür vollständig schließt. Jetzt ist schon mal klar warum der Rest also noch wartet. Der schwarze Kasten entpuppt sich als Tetraeder welche auf jeder Seite (außer der Bodenfläche) mit einem Touchscreen ausgestattet ist. Darauf befinden sich die einzelnen Etagen aufgelistet. Als ich auf die 10 drücke erscheint kurz Fahrstuhl 4 auf dem Display. Am Sockel unter dem Tetraeder befinden sich noch RFID Lesegeräte deren Aufgabe mir nicht ersichtlich ist. In Anbetracht der voranschreitenden Zeit denke ich auch nicht weiter darüber nach und nehme meine Wartepostion vor dem Fahrstuhl 4 ein. Endlich öffnet sich die Kabinentür und ich trete gemeinsam mit anderen Personen ein. Auf den vielen Etagen bis zur 10. steigen alle Personen aus, so dass ich nur noch allein die Etage betrete. Mein erster Eindruck: nichts. Das surren der Klimaanlage ist zu hören und es bietet sich ein herrlicher Blick über die Stadt durch die hermetisch dichten Doppelglasfenster welche über keinen Mechanismus zum Öffnen verfügen. Nur Menschen sehe ich keine und nach Arbeit sieht es hier auch nicht aus. In drei Richtungen erstrecken sich scheinbar endlos lange Gänge mit diversen Büros welche Tür an Tür liegen - doch kein geschäftiges Treiben ist zu sehen. Ich suche das Zimmer welches auf meiner Einladung steht und klopfe. Ein freundliches Herein erschallt. Sie sind die Neueinstellung und kommen wegen der Bilder für die Zugangskarte? “Ja - ich denke schon. Stand so jetzt nicht auf der Einladung aber kann schon sein.” Zeigen Sie mal her. Ja, ja das hat schon seine Ordnung. Setzen Sie sich bitte dort drüben auf den Stuhl mit den Beinen in Richtung Tisch und drehen Sie den Oberkörper bitte so dass Sie in diese Kamera schauen. Bitte nicht lächeln das Foto muss den Richtlinien der Biometrieerkennung entsprechen. Vielen Dank das war es schon - wenn Sie dann bitte draußen warten würden. “Ja natürlich”. Während der Wartezeit erscheint ein Mann im Flur und kommt auf mich zu. Ich erkenne ihn wieder, er war bei meinem Einstellungsgespräch dabei und hat mir viele Fragen gestellt aber auch erwähnt, dass wir die Einstellung noch vor dem ersten des Folgemonats durchziehen müssen wenn ich bei meiner Gehaltsvorstellung bleibe. Im nächsten Monat würde meine Stelle nur noch mit einer geringeren Tarifstufe vergütet. Wir begrüßen uns freundlich dann öffnet sich auch schon die Tür. So ihre Zugangskarte - bitte sehr. “Danke”. Dann kann es ja gleich losgehen, sagt der Mann welchen ich mir unter dem Namen Leikler gemerkt habe. Ihre Arbeitsstelle befindet sich in einer Auslagerung. Am besten wir fahren gleich rüber damit ich Sie mit Ihren Kollegen bekannt machen kann. Wir begeben uns in Richtung Fahrstuhl. Er scheint mir deutlich älter als ich und etwas größer. Auch schreitet er deutlich schneller als ich voran - vielleicht wegen der längeren Beine, vielleicht aber auch nur aus Gewohnheit. Kurz vor den Fahrstuhlschächten schwenkt er abruppt in Richtung Wand auf einen Notausgang zu. “Ich nehme immer die Treppe” sagt er. “Ok” höre ich mich sagen und mein Gehirn fängt an zu rechnen: 10 Etagen = 20 Halbtreppen a mindestens 10 Stufen - ist das ein Test? Später einmal werde ich feststellen, dass es kein Test ist. Es ist sein persönliches Training um sich fit zu halten. Ob auf dem Weg zum Mittagessen und zurück oder nur kurz zum Meeting - er nimmt immer die Treppe. Als wir uns beim Pförtner verabschieden bin ich bereits etwas verschwitzt und der ganze Arbeitstag liegt noch vor mir. Nun gut das muß ich wohl demnächst berücksichtigen. Wir nehmen einen ähnlichen Weg durch die Stadt, zunächst Straßenbahn dann U-Bahn, dann sind wir am Ziel. Das Gebäude gehört einem Pharma Konzern. Wir fahren bis in die 4. Etage.

Rückseite des Buches

Nachdem auf der Erde im 21. Jahrhundert, die als “Dritten Weltkriege” in den Geschichtsbüchern verzeichneten internationalen Kriege in einer atomaren Katastrophe endeten, welche zwar nicht zum Erlöschen der Menschheit führten jedoch große Teile des Planeten für viele Jahrtausende verseuchen sollten, begann die Menschheit andere Orte im Sonnensystem zu besiedeln. Dabei wurden besonders die Zwergplaneten Ceres, Pallas und Vesta im Hauptasteroidengürtel des Sonnensystems wie auch viele Monde zur Gründung neuer Nationen auserkoren. Nur einige Urvölker der Amazonasgebiete wie auch Teile der Aboriginies Australiens blieben zurück. Natürlich blieben auch all jene zurück welche die Kosten für einen Flug zu den Auswanderungsgebieten nicht aufbringen konnten. Sie waren das Leben ohne Zivilisation in der Regel nicht gewöhnt und dadurch gegenüber den Urvölkern benachteiligt im Kampf ums Überleben. Aus der Not heraus entstanden viele friedliche Kooperationen zwischen den neuen Standorten um das Überleben der Menschheit sichern zu können. Doch die Menschen wären nicht die Menschen wenn Sie es dabei belassen würden. So fanden sich auch jetzt bald wieder erste Bemühungen einzelne Verträge zu unterwandern und andere Nationen zu unterjochen. Die Geschichte “Neuland” ist eine Geschichte über banale Alltäglichkeiten in dieser Zeit.

Streiflichter aus den Redaktionen

“Größtenteils harmlose Begebenheiten am Rande der Milchstraße” titelt der “Anhalter durch die Galaxis”.

“Eine geniale Anleitung zur Zerstörung ganzer Nationen” heißt es in den großen Werken der Encyclopedia Galactica über das Buch.

“Sie kannten keine Telefondesinfizierer und kamen dennoch um.” schreibt Mark Watney in einem auf dem Mars verschollenen Tagebuch.

“Eine Besiedlung der Asteroiden war nur auf Grund meiner detaillierten Beschreibungen überhaupt möglich” hebt James S. A. Corey in einer Ansprache auf dem Mond der Erde hervor.